
Ich möchte dir eine kleine Geschichte vom Skifahren erzählen. Wobei das Skifahren nur der Rahmen für unsere menschlichen Verhaltensweisen ist. Die Geschichte heute hat kein fröhliches „Schubiduu“ und auch keinen Humor. Sie bittet nur um Verständnis.

Es ist eine Geschichte, die mich bewegt. Vielleicht bewegt sie nur mich. Aber vielleicht findest du dich darin ebenfalls wieder. Die Geschichte ist sozusagen „off piste“, abseits, eine als Skiroute gekennzeichnete Abfahrt. Wenn du fröhlich und einfach weiter wedeln willst, bleib einfach auf der Piste. Wenn du Lust hast, dich durch die Buckel zu kämpfen, bei denen du auch mal auf der Nase landen kannst, den Schnee wieder abschütteln und es noch einmal probieren willst, dann lies weiter.

Vor genau zwei Jahren habe ich mir mein Kreuzband gerissen. In meinem Lieblingsskigebiet (Lech am Arlberg). Auf meinem Lieblingsskihang (wir haben ihn immer Hexenboden genannt, ob es die richtige Bezeichnung ist, werde ich jetzt nicht nach recherchieren). Mit meiner Lieblings-Skifreundin. Warum? Weil mein Ego zu groß war. Mein Größenwahn war der Meinung, dass ich einem grandiosen Skifahrer hinterherkommen müsste. Und weil ich müde war. Ausgelaugt vom Job, den vorangegangenen Messen und den vergangenen zwei Jahren.

Es ging alles ganz schnell: Ski eingesackt, Fuß fest, Knie verdreht und kazong – Kreuzband gerissen.
Heute ist nach außen alles wieder gut. Zwei Jahre sind schon ohne mich auf der Piste vergangen. In 45 Jahren habe ich nur einen Ski-Winter ausgelassen, als ich für ein Jahr in Florida lebte. Ansonsten träumte ich im August schon vom Skifahren. Jetzt nicht mehr.

(hochdeutsch: Weißwurst – isst man in Bayern gerne zum Frühstück)
Seitdem fragen mich Freunde und Bekannte, wann ich wieder Skifahren gehe. Von einem Bekannten habe ich gehört, dass ich erst jetzt eine richtige Skifahrerin bin. Ach so? Als ob ein Kreuzbandriss das Skifahren adeln würde. Viele „bestätigen“ mir, dass es nur im „Kopf“ sei, dass ich mich nicht mehr Skifahren traue. Mein Arzt und meine Physiotherapeutin bestätigten schon letztes Jahr, dass ich wieder fahren könne. Weil es eben nur eine Kopfsache sei.

Interessanterweise fragen die wenigsten, WARUM ich nicht mehr Skifahren gehe. Die Frage ist so einfach und scheint doch so schwer. Aber WARUM fragen die wenigsten danach? Warum scheint es einfacher, vermeintlich bestätigende und gut gemeinte Ratschläge los zu lassen, als nach dem WARUM zu fragen?

Vielleicht, weil die wenigsten hören wollen, was ich dir jetzt erzähle. Vielleicht, weil das WARUM Zeit braucht. Zeit zum Zuhören. Vielleicht weil das WARUM offene Ohren braucht. Vielleicht weil das WARUM kein einfaches Pflaster ist, was du einfach drüber pappen kannst. Vielleicht weil du mit dem WARUM Dinge hörst, die du nicht hören willst. Vielleicht, weil das WARUM alles, aber sicher keine Ratschläge braucht. Und in RAT-SCHLÄGEN sind wir doch alle – mich eingeschlossen – so unglaublich gut.

Also, falls Du mich fragst, WARUM ich nicht mehr skifahre, dann erzähle ich dir, dass es für mich viel mehr als eine Kopfsache ist.

Mein ganzer Körper und mein Geist können sich viel zu genau an all den Schmerz erinnern. Den physischen wie psychischen Schmerz. Den Schmerz, als das Kreuzband riss und mir minutenlang den Atem nahm Den Schmerz vor der OP, als der wirklich wundervolle Anästhesist mit x-Mal in den Rücken stach, bevor er dann doch beschloss, eine Vollnarkose zu setzen, weil er den richtigen Kanal nicht fand. Die Nacht nach der OP, in der ich die Nachtschwester immer wieder bat, mit den Schmerzmitteln nach zu legen, weil es kaum auszuhalten war.

Die unglaublichen Umstände, die mir das Leben in den nächsten Monaten bereitete, obwohl es nur ein Kreuzbandriss war. Das zwei Monate lang dick geschwollene Bein, das sich weder beim Autofahren, beim aufs Klo gehen oder beim einsteigen in die Dusche abbiegen ließ.

Mein Körper und mein Geist erinnern sich zu gut daran, dass mein Leben in den ersten zwei Monaten nur auf meiner Couch, bei meinem wundervollen Ostheopaten und meiner lustigen Physiotherapeutin stattfand. Wie viel langsamer und beschwerlicher alles war. Selbst als ich mich mit Krücken langsam „unabhängig“ fortbewegen konnte. Wie unsicher ich war, als ich das erste mal in der „richtigen“ Welt in der U-Bahn saß – ein halbes Jahr später. Immer noch nicht in der Lage, mein Bein abzuknicken und mit der Angst, dass jemand über dieses abstehende Ding stolpern und mir weh tun könnte.

Ich erinnere mich an den Augenblick, als ich zum ersten Mal wieder „in den Bergen“ war. Mein liebevoller Freund, der mich so oft besuchte, wie es ihm möglich war, für mich einkaufte, saugte und sorgte aber abends eben wieder nach Hause musste, fuhr mich dort hin. Wir saßen auf der Terrasse des Lieberhofes und ich konnte von oben auf den Tegernsee kucken.

Seitdem habe ich mir die Berge wieder zurück erobert. Mit seiner Hilfe. Die erste Tour ging zum Tegernsee – rauf auf die Aueralm. Rauf war beschwerlich und kostete mich gehörige Anstrengung. Runter gab es ein sehr steiles Stück, das ich nur im Schneckentempo schaffte, weil das Knie sich immer noch nicht richtig abknicken ließ.

Seitdem beschäftigte mich das Knie. Jeden Tag. Ich hatte das Glück, zwei mal die Woche Physiotherapie zu bekommen und einmal die Woche Osteopathie. Als Selbstständige habe ich nach zwei Wochen wieder gearbeitet. Bei all der „Beschäftigung“ und Langsamkeit des Lebens kannst du dir vorstellen, wie viel Zeit noch für andere „Dinge“ des Lebens blieb.

Ich trainiere jeden Tag. Damit die Muskeln sich aufbauen. Damit das Knie beweglich bleibt. Ich gehe wieder in Yoga, was mir acht Monate so sehr gefehlt hat. Ich bin noch nicht dort, wo ich vor dem Kreuzbandriss war.

Aber ich habe großes Glück gehabt. Meine Bergung in den Bergen lief wie am Schnürchen. Die Operation war gut gemacht. Ich habe gleich im Anschluss hier in München Betreuung bekommen. Ich habe liebe Freunde und oft einen liebevollen Mann an meiner Seite. Ich kann heute fast alles wieder machen. Auch wenn es noch nicht so ist, wie es vor dem Kreuzbandriss war. Aber ich bin sicher, es wird noch ein Stück besser.
Das also würdest du hören, wenn du nach dem WARUM fragst.

Und dabei habe ich dir erspart zu erzählen, wie sehr mir die Decke oft auf den Kopf gefallen ist. Wie viel Anstrengung es bedurfte und bedarf, sich jeden Tag zusammen zu reißen und nicht hängen zu lassen. Ich habe dir auch erspart, von dem Zerbrechen einer 30-jährigen Freundschaft zu erzählen, weil Extremsituationen Klarheit zu Tage bringen.

Wenn du mir jetzt also erzählen würdest, es ist nur eine Kopfsache, dass ich nicht mehr skifahre, dann werde ich dich vielleicht anlächeln und sagen. Ja, ja, das kann schon sein. Vielleicht fahre ich ja auch wieder.

Aber ich werde dir nicht meine Geschichte dahinter erzählen. Denn wenn du die hören wolltest, würdest du WARUM fragen. Und dann würden sich die Kommentare und die gut gemeinten Ratschläge etwas – hm, wie soll ich sagen – komisch anhören.

Wenn du also wirklich WARUM fragen würdest, dann würden wir die blaue Piste verlassen und vom Popo-Wackelnden-Wedeln rein ins freie Gelände rauschen. Ich finde beides hat seine schönen Seiten. Manchmal ist eine entspannte Pistenabfahrt genau das richtige. Ohne viel zu denken, die Sonne genießen, die Landschaft bestaunen und im sicheren Bereich genießen. Knackig wird’s im Tiefschnee abseits der Piste. Und manchmal mag ich es genau dort am aller liebsten.

INFOS
Lech am Arlberg
https://www.lechzuers.com/
Pension Fortuna
Wenn Du es gemütlich und unkompliziert haben willst, nach dem Skifahren nur noch runter in die Stube stapfen willst und lecker bekocht werden magst, dann bist du hier genau richtig. Hab’ ja schon überlegt, ob ich es ausplaudern soll …. aber bitteschön. Hier hast du meinen Geheimtipp.
https://www.fortuna-lech.com/
Hallo Hermine, eine liebe Freundin aus down under schickte mir diesen Link, denn sie vermutete wohl, ich könne das nachvollziehen, was Du schreibst.
UND WIE!!!!
Ich habe sehr Ähnliches erlebt und ich habe DREI Jahre gebraucht, bis die „Kopfgeschichte“ raus war aus mir. Plus eine gute Freundin und ihren Zuspruch vor Ort plus einen Hammerskitag (wettermäßig) – erst dann ging es wieder und ich habe mich getraut, doch wieder skizufahren. Hatte es zuvor für unmöglich gehalten!!!
Ich wünsche Dir, dass Du die Kraft dafür vielleicht auch wieder schöpfst. Und Dir weiter die Zeit nehmen kannst es zu verarbeiten. denn, ja, es ist keine Cholera und kein Krebs, aber Eingriffe in unser gewöhntes gesundes Leben sind für alle Menschen eben unterschiedlich. und vor allem kann kein Mensch wirklich wissen, was es an zusätzlichen Behinderungen mit sich bringt. Ich hatte damals z.B. ein vierjähriges Kind allein zu versorgen unter der Woche… In einer Wohnung im 2. Stock OHNE Aufzug. Aber ich habe es geschafft.
Hier noch mein Beitrag kurz nach dem Unfall: https://www.ohfamoos.com/2016/06/wird-man-im-alter-anders/
Ich wünsche Dir weiter viel Erfolg beim Verarbeiten und wie Du schreibst: So löst sich auch anderes „auf einmal“ wie von selbst … Liebe Grüße, Elke
Autor
Hallo Elke,
Ich glaube deine liebe Freundin aus Down Under war früher meine Nachbarin in München.
Wie schön!
Ohhh, ich denke mir das so oft, dass das Leben mit Kind sicher eine Bereicherug ist, aber im Fall Kreuzband war ich sehr froh, dass ich mich nur um mich kümmern musste. Wow, gar nicht auszudenken, wie mein Weißwurscht-Bein einer Vierjährigen hätte auch nur ansatzweise hinterherkommen können. Respekt für dich!
Spannend was Du schreibst in deinem Beitrag!
„Aber mal im Ernst, was ist eigentlich so seltsam daran, mit der Zeit alte Vorlieben zu lassen, neue zu beginnen – und dabei gar keine Reue zu spüren?“ – YES! So ist es!
Ich habe Schneeschuhwandern entdeckt, was ich früher mit gerümpfter Nase nicht mal ansatzweise in Betracht gezogen hätte. Und – Überraschung – es ist total schön!
Mal kucken wie Winter Nummer 3 aussieht! Mein Körper und Geist werden mir schon sagen, ob und wann sie wieder Lust zum Skifahren haben. Ich „muss“ ja nix!
Danke für den Austausch und deine Sicht! Hat mich gefreut!
Liebe Grüße, Hermine
Was für eine tolle Lektüre! Mach bitte weiter so 🙂
Autor
Hallo Adam, wie nett! Es freut mich sehr, dass Dir die Lektüre gefällt. Heute Abend gibt’s auch endlich wieder mal einen neuen Artikel.
Viel Spaß beim Weiterlesen und danke für Dein Feedback, Hermine
du schreibst wunderbar! Klasse Artikel. Ich will ende des jahrea auch wieder nach österreich skifahren. Toller blog weiter so!
Autor
Liebe Laura, vielen Dank! Das freut mich sehr 🙂 Und ist immer wieder ein Ansporn, dran zu bleiben, wenn ich den Eindruck habe, dass ich Menschen mit meinem Blog etwas geben kann. Ich hoffe, dass Du Ende des Jahres Lech genießen werden kannst! Herzliche Grüße, Hermine