Wenn Wege auseinander führen

Kellerjoch

„Liebe V, ich habe unser Gespräch überdacht. Für mich ist unsere Freundschaft zu einem Ende gekommen. Ich wünsche Dir alles Gute. B“. Bäm. Da stand es. Gewichtig und folgenschwer. Auf meinem Handy. Abends um neun Uhr. Lautlos kam sie rein gesegelt. Die Email, die einen Schlusspunkt unter 32 Jahre Freundschaft setzte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war beeindruckt von dem Mut und schockiert von der Würde- und Herzlosigkeit, die in diesen unpersönlichen Worten steckte. Voraus gegangen war ein Gespräch, das ich suchte. Weil es nicht mehr ging. Weil ich mich in der schwierigsten Situation meines Lebens von meiner Freundin verlassen fühlte. Wie entsetzt war ich, als ich feststellte, dass die Gräben zwischen uns nicht hätten tiefer sein können.

Vorderriß

Wir haben uns in der Schule kennen gelernt. Mit 15. Neben mir war noch ein Platz frei und so wurde sie von der Lehrerin an meine Seite gesetzt. Das war der Beginn einer langen Freundschaft. Wir sind in den 80ies im Partnerlook rum gelaufen, haben uns nach der Schule ein wenig aus den Augen verloren um nach unserem Auslandsjahr wieder zusammen zu finden. Mit 26 heiratete sie, ging nach Frankreich mit ihrem Mann und bekam ihre erste Tochter. Das erste kleine Wesen, das ich so richtig wahr genommen habe. Mir lag nichts ferner als zu heiraten und schon gar nicht Kinder zu bekommen. Ich lebte in Köln, sammelte meine ersten Berufserfahrungen und zog dann mit einem neuen Job nach München in den Stadtteil Sendling. 300 Meter entfernt von meiner Freundin, wie wir ein paar Wochen später zufällig feststellten. In der Zeit – sie hatte mittlerweile noch einen kleinen Sohn bekommen – sahen wir uns regelmäßig. Gingen miteinander zum Schwimmen oder Wandern. Ich war manchmal ein Teil ihrer kleinen Familie und gab ihr und ihrem Mann immer mal wieder ein bisschen Zeit zu zweit, indem ich Baby sittete. Unsere Leben hätten nicht unterschiedlicher sein können. Doch ich empfand es als Bereicherung. Bis zu einem Tag, an dem ich die erste richtige Auseinandersetzung mit ihr hatte. Das war der erste große Bruch, der unter anderem darin gipfelte, dass ich bei ihr zu Hause nicht mehr gern gesehen war. Das Ende meines Freundinnen Familienlebens. Umso öfter war sie bei mir zu Hause. Ratschen waren wir von da an jahrelang im Südbad. Wir trafen uns zum Schwimmen, redeten uns den Mund fusselig, so lange bis das Becken gegen 22 Uhr leerer wurde und wir zusammen unsere Bahnen zogen. Irgendwann beendete sie auch das. Bis heute weiß ich nicht warum. Als ich meinen Mann kennen lernte, genoss sie die Abende bei uns und tankte auf. Er kochte für uns beide und gab uns Zeit zu quatschen. Oft kam sie mit angestrengtem Gesicht und ging ein bisschen entspannter. Unser erster gemeinsamer Urlaub in Meran nach vielen vielen Jahren Freundschaft hat nicht geklappt. Zu unterschiedlich waren unsere Bedürfnisse. Dass ich meinen Mann über alles liebte merkte sie. Seitdem ich ihn kennen würde, sähe ich immer so glücklich aus. Sie beneidete mich um die vielen Reisen, gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnisse, die ich mit meinem Mann genoss.

Eng

Als mein Mann starb, waren meine Freunde für mich da. Meine ganz engen und auch die, mit denen ich bis dahin noch nicht so vertraut war. Neue Helfer traten in mein Leben und viele überraschten mich mit ihrer Empathie, ihrem Einfühlungsvermögen und pragmatischer Hilfe. Nur eine war nicht da: Sie. Das merkte ich erst ein Jahr nach dem Tod meines Mannes. Als ich wieder ein bisschen gefestigter war. Dann erschien sie wieder auf meiner Bildfläche und ich war schockiert. Schockiert, dass sie davor persönlich fast nicht greifbar für mich war. Viele viele Postkarten erinnerten mich in der Zeit daran, dass es sie gab. Aber obwohl wir in der selben Stadt wohnten, bekam ich sie fast nie zu Gesicht. Und genau so schockiert war ich darüber, dass ich gar nicht wahrgenommen hatte, dass sie nicht mehr in meinem Leben war. Ich hatte sie nicht vermisst. Mein Leben hatte sich genau so dramatisch verändert, wie auch meine Bedürfnisse. Und da kamen wir nicht mehr zusammen.

Fockenstein

Über die Jahre gab es immer wieder Erlebnisse, die mich an unserer Freundschaft zweifeln ließen. Gesprochen haben wir nie darüber. Denn obwohl ihr das endlose Produzieren von Wörtern 24 Stunden einfach fiel, blieb sie auf dem Weg zu ihrem Innersten still. Jahrelang habe ich gehadert und doch immer wieder einen Weg gefunden. Bis zu diesem Abend. An dem es nicht mehr ging. Ich wusste, dass ein Gespräch alles kaputt machen konnte. Aber ich wollte nicht länger weg sehen und mir ein Bild von vermeintlicher Nähe und echter Freundschaft malen. Zu viele Risse hatte die Leinwand in den vergangenen Jahren schon bekommen. Wie weit wir voneinander entfernt waren, wurde uns beiden nach der ersten halben Stunde bewusst. Wie wenig wir verstanden, was uns der andere vorwarf, war schockierend. Wir wollten es beide noch einmal versuchen und waren froh, dass alles ausgesprochen war.

St Gallen | 3 Weihern

Es dauerte genau eine Woche. Dann kam die Mail. Schlicht, faktisch und ohne Schnörkel. Was bleibt zu sagen, wenn man sich auseinander gelebt hat? Und wenn das Gefühl der Erleichterung größer als das des Verbundenseins ist? Danke. Für all die Jahre, in denen wir Freundinnen waren. Jetzt geht jede ihren Weg. Vergessen werde ich die 32 Jahre nicht.

4 Kommentare

  1. Sarah
    9. Dezember 2017 / 23:00

    Sehr berührend und traurig aber auch voller Stärke von deiner Seite. Nicht viele hätten den Mut für ein solches Gespräch aufgebracht.

    • Hermine
      Autor
      11. Dezember 2017 / 15:14

      Ja das stimmt. Viele Menschen reden lieber nicht. Was besser ist? Hm. Ich weiß es nicht. Aber wenn man mit Freunden nicht offen sein kann, mit wem dann? Ganz liebe Grüße und danke für Dein nettes Feedback!

  2. S.
    18. Dezember 2017 / 15:30

    Liebe Hermine,
    mir geht es gerade genauso. Was Wertvorstellungen betrifft, haben sich meine Freundin und ich stark auseinander entwickelt. Ich habe Familie, sie nicht. Ich glaube, dass diese Tatsache Freundinnen sehr voneinander entfernen kann. Die Lebenswelten unterscheiden sich sehr stark und triften über die Jahre noch weiter auseinander. Was meinst Du dazu? Lag es bei Euch im Grunde auch daran?

    • Hermine
      Autor
      22. Januar 2018 / 17:41

      Liebe Susanne, ich habe mir lange über Deine Frage Gedanken gemacht, ob es daran lag, dass sie Familie hat und ich nicht. Ich denke aber nicht, dass das der Grund war, denn ihre Kinder sind jetzt schon 18 und wir waren die ganze Zeit hindurch befreundet. Ich denke, dass ich mich einfach in eine andere Richtung entwickelt habe. Und der neue Weg passt nicht mehr zu ihrem Leben. Zumal ich denke, dass ihr Leben so anstrengend ist, dass sie vielleicht gar keinen Raum und gar keine Kraft hatte, mich zu unterstützen, als es mir nicht gut ging.

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